Katharina Kruck
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Abb. 1 Peter Paul Rubens, Allegorie auf den Krieg, 1628 (?),
Öl auf Holz, 36 x 50 cm, Wien, Liechtenstein.
The Princely Collections, Inv.
GE59.
© LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna
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„Ich habe weder das Talent noch die Macht, Eurer Exzellenz Ratschläge zu erteilen. Aber ich betrachte diesen Frieden als den Knoten in der Kette der ganzen Konföderationen von Europa, dessen bloße Vorstellung schon so große Wirkungen hervorruft. [...] denn es ist sicher, und alle klugen Menschen denken so, daß, wenn erst einmal dieser Frieden geschlossen ist, alle anderen Friedensschlüsse sich werden machen lassen."[1] Diese Worte, die Peter Paul Rubens am 24. August 1629 an den Premierminister Spaniens, Herzog von Olivares, richtet, zeugen von seiner tiefen Friedenssehnsucht, die er in einer, für einen Künstler ungewöhnlichen, politischen Rolle zu verwirklichen suchte.[2] Das umfangreich erhaltene Oeuvre, geprägt von Sinnlichkeit, Dynamik und Farbkraft, lässt uns manchmal vergessen, dass die entscheidenden Lebensjahre des Meisters in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges 1618-1648 fielen.
Flandern, welches Rubens in Briefen immer wieder als sein geliebtes Vaterland bezeichnete, war vom Krieg unmittelbar bedroht. Der wirtschaftliche Niedergang seiner Heimatstadt Antwerpen war bereits eingeleitet, seitdem die Schelde durch die protestantischen Provinzen blockiert worden war. Rubens umfassender Bildungshorizont – er beherrschte acht Sprachen und war bestens mit antiker Literatur und Kunst vertraut – sowie seine europaweiten Kontakte, die er während früherer Aufträge und Reisen geknüpft hatte, ermöglichten es ihm, seine politischen Bestrebungen als Diplomat in den Jahren 1623 bis 1635 in die Tat umzusetzen. Maßgeblich war die jahrelange Freundschaft mit den beiden spanischen Regenten der Niederlande, Erzherzog Albrecht und seine Gemahlin Isabella, sowie mit dem Feldherrn und Staatsmann Ambrogio Spinola. Arbeitete Rubens zunächst inkognito für geheime Friedensverhandlungen innerhalb der Niederlande – offiziell war er als beauftragter Künstler unterwegs –, wurde er später als offizieller Gesandter eingesetzt.[3] In der umfangreichen Sammlung von erhaltenen Briefen tritt immer wieder die bemerkenswerte Hingabe hervor, mit welcher sich Rubens gerade in der Zeit seines höchsten künstlerischen Ansehens seinen diplomatischen Aufgaben widmete.[4] Kunst und Politik griffen für ihn so sehr ineinander, dass einige seiner Arbeiten als Anmerkung zu den politischen Begebenheiten seiner Zeit zu verstehen sind.
Vor allem die Auftragsarbeiten für die Königshäuser Englands, Spaniens und Frankreichs geben uns Aufschluss darüber, wie bewusst Rubens „seine Kunst in den Dienst der Diplomatie gestellt hat“.[5] Das Gemälde Friede und Krieg[6] etwa, das der Meister 1630 dem englischen König Karl I. zum Ende seiner Friedensmission schenkte, glorifiziert die Weisheit des Königs, durch welche der Frieden erreicht wird und vor allem den kommenden Generationen zugutekommt. In Werken wie diesem übertrug Rubens das zeitpolitische Geschehen und dessen Akteure in Szenen und Figuren aus der antiken Mythologie. Hier konfrontierte er die Entscheidungen und Motive weltlicher Herrscher mit humanistischen Werten und lotete immer wieder die Möglichkeit des Friedensschlusses aus.[7] Seine Visionen verwirklichte der Meister meist in dynamischen Kompositionen auf monumentalen Formaten oder gar in Gemäldezyklen.
Beinahe still erscheint dagegen die kleinformatige Ölskizze, die heute als Allegorie auf den Krieg bezeichnet wird (Abb. 1). Sie befindet sich seit 1712 im Besitz des Hauses von und zu Liechtenstein. Die Datierung auf das Jahr 1628 ist nicht unumstritten, ebenso der Entstehungszusammenhang und die damit einhergehende inhaltliche Deutung.[8]
Vor einer Reiterschlacht sitzt bildparallel im Vordergrund der Skizze eine Frau mit halb angewinkelten Beinen in Linksausrichtung auf der Erde zwischen Leichen und Kampfmitteln. Die Ellenbogen hat sie locker auf die Knie gestützt und die Stirn an ihre rechte Hand gelehnt, sodass ihre Augen verborgen werden. Wallende rosa-orange schimmernde Stoffe umhüllen sie. Doch sind ihre Schultern einschließlich des linken Oberarms und der linken Brust sowie der rechte Unterarm und die Füße entblößt. Ihr helles Inkarnat sowie die Flechtfrisur lassen an Darstellungen aus der Mythologie denken. In den Kriegswirren hat sich das blonde Haar bereits teilweise gelöst. Unmittelbar hinter ihr und zum Teil von ihr verdeckt liegen jeweils links und rechts ein Mann niedergestreckt bäuchlings am Boden. Beide Männer sind auffallend muskulös und nahezu unbekleidet dargestellt. Ihre Häupter ruhen auf den angewinkelten Oberarmen. Hinter den drei Figuren liegen im Bildmittelgrund eine Trommel, eine Fahne und mehrere Lanzen, die zum linken Bildrand ausgerichtet sind. Hier stehen Kanonen, deren Rohre in die Bildtiefe mit dem Kriegsgeschehen weisen. Im Gegensatz zu dieser Fülle ist auf der rechten Seite des Bildmittelgrunds lediglich eine ockerfarbene Ebene dargestellt, von der sich der bläulich-verrauchte Hintergrund in der oberen Bildhälfte absetzt. Hier galoppieren Reiterriegen auf der rechten Bildseite unter anhaltendem Gewehrfeuer auf einander zu. Auf beiden Seiten sind die ersten Reihen bereits getroffen zu Boden gefallen.[9] Der Dunst der Feuerwaffen verschleiert das weitere Geschehen im linken Bildhintergrund. Auch die hinter dem Kampfgeschehen anschließende Landschaft löst sich im Kanonenrauch auf. Vage lässt sich eine ebene Horizontlinie unter wolkigem dunklen Himmel ausmachen, der im linken oberen Bilddrittel gelblich-blau aufklart.
In der Forschung wird die Frauengestalt in Rubens Skizze nahezu überwiegend als die Personifikation der unterworfenen niederländischen Provinzen gedeutet.[10] Denn das Motiv einer unterdrückten Region, personifiziert durch eine Frau, die am Boden sitzt und den Kopf in die Hand stützt, findet sich bereits in der römischen Herrscherikonographie. So etwa auf jenem Marmorrelief, das Rubens in den Gärten des Kardinals Cesi in Rom gesehen haben muss. Das Relief befindet sich unterhalb einer großen Statue der Roma und ist heute im Konservatorenpalast verwahrt.[11] Hier ist die Dacia dargestellt, die Personifikation der Provinz Dakien, die im Jahre 106 von Trajan unterworfen wurde. Auch findet sich das Motiv auf der Gemma Tiberiana, welche Rubens mehrfach in seinem Oeuvre thematisiert hat.
Doch wie inszeniert Rubens die Allegorie aus den antiken Vorbildern? Er platziert sie als einzige allegorische Figur inmitten des aktuellen Zeitgeschehens. Mit ihren wallenden Stoffen, die als Kleidung in diesem Zusammenhang ungeeignet erscheint, wirkt sie deplatziert. Das fast weiße Inkarnat lässt sie als Fremdkörper erscheinen. Sie ist mit ihrer Verzweiflung völlig allein. Der teils entblößte Körper unterstreicht ihre Verletzlichkeit. Die Skizze führt in ungewöhnlich drastischer Weise die Folgen des Krieges vor Augen. Eine solche direkte Darstellung von Leichen und Kriegshandlungen mit all ihrer Zerstörung und Verzweiflung ist völlig ungewöhnlich für diese Zeit – und auch höchst ungewöhnlich für Rubens.
Jedoch findet sich in der Skizze kein Attribut, etwa ein Schutzschild mit Wappen, das die Frau gesichert als Allegorie einer unterdrückten Provinz ausweist. Lediglich die hockende Körperhaltung mutet ähnlich an. Der Titel Kriegsallegorie wurde freilich nicht von Rubens selbst gewählt und ist in diesem Zusammenhang irreführend, da er eine entsprechende Erwartungshaltung beim Betrachter hervorruft. Denkbar wäre beispielsweise auch die Deutung der Frauengestalt als Melancholia. Die Lehre von den vier Temperamenten war seit der Renaissance in den Fokus vieler Künstler gerückt und bildete die Basis zur Darstellung von Leidenschaft und Charakterzügen.[12] Den medizinischen Theorien von Hippokrates und Galen zufolge ist das kosmische Element der Melancholie die Erde, als Jahreszeit wird ihr der Herbst, das Kalte und Trockene zugeordnet. Insofern bestünden mehrere Bezugspunkte. Immerhin sitzt die Frau auf der Erde, ist in herbstlich-orangene Stoffe gehüllt und befindet sich vor einer rauchig-bewölkten, vegetationslosen Landschaft. Auch die nachdenkliche Haltung mit gebeugten Arm und dem geneigten Kopf, sowie die Blässe des Inkarnats sind übliche ikonographische Topoi für das melancholische Gemüt.[13]
Während die besondere Farbigkeit und der aufklarende Himmel an Darstellungen der Aurora denken lassen, erinnert die Gestaltung der Frauenfigur vage an Venusdarstellungen des Meisters, etwa an jene Venus, die Rubens 1614 malte und die sich heute in der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste in Wien befindet. Einen direkten Zusammenhang zu generieren ist sicherlich spekulativ. Doch ist es vermutlich kein Zufall, dass der Figur in der Skizze jegliche Attribute fehlen, die eine eindeutige Identifizierung erlauben würden. Will man Rubens gerecht werden, muss man davon ausgehen, dass er, gerade in den späteren Arbeiten, nicht schlichtweg eine Personifikation aus antiken Vorbildern für seine Skizze übernommen hätte. So existieren zahlreiche Beispiele dafür, wie der Künstler seine Allegorien immer wieder modifizierte, ja regelrecht mit den Darstellungstraditionen, Symbolen und Attributen spielte. Besonders eindringlich vollzieht sich beispielsweise ein Wandel in dem Verhältnis der Venus zum Mars. Traditionell wurde dem Liebespaar eine verspielte Eigendynamik zugeschrieben, die sich durchaus auch bei Rubens finden lässt: Die Liebesgöttin kann den körperlich überlegenen und kampfeswütigen Kriegsgott zu guter Letzt immer durch ihre Reize vom Kriege abhalten. So etwa in dem heute als verschollen geltenden Gemälde Mars und Venus aus dem Jahr 1617.[14] Es zeigt die beiden im Moment der Verführung in einer Landschaftskulisse. Die Eroten der Venus spielen keck mit den Attributen des Mars. Liebevoll arrangierte Details, wie die Früchte oder die Turteltauben, vervollständigen die Komposition. In dem Gemälde Die Schrecken des Krieges[15] ist die Venus dagegen völlig machtlos geworden. Die Furie Alekto reißt Mars hinfort. Auch ihr Bitten und Flehen kann ihn nicht zurückhalten. Ähnlich hilflos erscheint Venus in der Ölskizze Venus versucht Mars zurückzuhalten, die Rubens wohl zwischen 1625 und 1628 fertigte (Abb. 2).[16] In dieser Abschiedsszene, die allein das Paar fokussiert, befindet sich der Kriegsgott bereits im Aufbruch. Mars, der dem Betrachter den Rücken zuwendet, schaut ein letztes Mal auf seine Geliebte, während er sich mit sicherem Schritte seinem Kriegsross zuwendet. Sein altvertrautes hitziges Gemüt ist seiner festen Überzeugung gewichen. Hier ist keine Alekto notwendig, um ihn fort zu reißen. Sein linker Arm und sein linkes Bein scheinen sich regelrecht in Richtung der Kriegsmittel in der Bildtiefe zu bewegen. Venus legt beschwichtigend den Arm auf seine Schulter, ergreift seinen Unterarm und blickt ihn traurig bittend an, in den Worten Baumstarks: „Zwischen dem kaum Einhaltenwollenden und der zärtlich, aber vergeblich sich Bemühenden werden unüberbrückbare Gegensätze deutlich, die den Auszug des Mars […] zu einer Szene resignierender Melancholie werden lassen“.[17] Eine solche Deutung des altvertrauten Mars/Venus-Idylls, die sicherlich Rubens eigenen Pessimismus über das Kriegstreiben widerspiegelt, ist für die bildende Kunst absolut ungewöhnlich.[18] Die Kriegsallegorie auf die Darstellung der unterdrückten Provinz zu reduzieren, kann unter diesem Gesichtspunkt also durchaus hinterfragt werden.
Bezüglich der zeitlichen Einordnung hat es in der Forschung immer wieder verschiedene Ansätze gegeben. Heute wird die Skizze der Kriegsallegorie allgemein auf 1628 datiert. Der Pessimismus der Darstellung könnte sich dann auf zwei Ereignisse des Vorjahres zurückführen lassen. Zum einen waren die Geheimverhandlungen zwischen den südlichen und nördlichen Niederlanden 1627 gescheitert, an denen Rubens im großen Maße beteiligt war. Zum anderen schienen die Bemühungen um einen Friedensschluss zwischen England und Spanien aussichtslos. Denn im selben Jahr hatte der spanische König mit Frankreich intrigiert und eine gemeinsame Invasion Englands geplant.
Bezüglich der Einordnung wird in der Forschung immer wieder auf den Kunsthistoriker Max Rooses (1890) verwiesen, der die Skizze in direkten Zusammenhang mit dem Bilderzyklus für Maria de Medici stellte.[19] Die Sinnbildhaftigkeit und die Gestaltung ähneln Rooses‘ Ansicht nach der Frauenfigur in der Skizze Heinrich IV. ergreift die Gelegenheit, Frieden zu schließen, auch Occasio genannt, aus dem Jahr 1628 (Abb. 3).
Der Auftrag betraf je einen umfassenden Gemäldezyklus zur Person der Maria de Medici und später zu ihrem Gatten Heinrich IV. in den beiden Galerien des Pariser Palais du Luxembourg. Dass die Occasio-Skizze, von der noch drei weitere Versionen[20] existieren, in diesem Zusammenhang als Vorstudie für eine Tapisserienserie dienen sollte, ist nicht abschließend gesichert. Doch aufgrund der Flucht der Königin 1631 wurde der Heinrichszyklus nie realisiert. Das würde erklären, warum sich im Oeuvre Rubens‘ keine Ausführung der insgesamt vier Occasio-Studien sowie der Skizze der Kriegsallegorie findet. Doch erschöpft sich die gestalterische Ähnlichkeit der beiden Darstellungen in dem skizzenhaften Pinselstrich, der sich auch in anderen Studien des Meisters finden lässt. Wie verschiedenartig ist dagegen der Bildaufbau. Doch lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit der am Boden sitzenden Frauen nicht verleugnen: Beide sind mit orangefarbenen weit wallenden Stoffen spärlich bekleidet. Sie entsprechen sich ungefähr in Alter, Körperbau und Haartracht, was jedoch wohl vor allem dem Typus der allegorischen Figuren zuzuschreiben ist. Und beide stützen ihr Haupt in die Hand, jedoch auf völlig verschiedene Weise. Die Protagonistin in der Kriegsallegorie ist vor Verzweiflung und Resignation in sich versunken. Ihr Umfeld nimmt sie nicht mehr war, das zeigt sich in der Handhaltung, die ihren Blick abschirmt. Im Gegensatz dazu beobachtet ihr Pendant in der Occasio-Skizze aufmerksam und doch entspannt ihre Umgebung. Die fast frontale Ausrichtung zum Betrachter und der Blick, der aus dem linken Bildbereich hinausschweift, zeugen von Selbstsicherheit. Hier ist die Vigilantia, also die Personifikation der Wachsamkeit, dargestellt. Ihre Attribute sind die Schlange als Zeichen der Wachsamkeit und die Keule als Zeichen der Stärke des sofort ausführbaren Schlages. Der Adler hinter ihr mit Blitzbündel repräsentiert Jupiter, den Göttervater.[21]
Der Auftrag betraf je einen umfassenden Gemäldezyklus zur Person der Maria de Medici und später zu ihrem Gatten Heinrich IV. in den beiden Galerien des Pariser Palais du Luxembourg. Dass die Occasio-Skizze, von der noch drei weitere Versionen[20] existieren, in diesem Zusammenhang als Vorstudie für eine Tapisserienserie dienen sollte, ist nicht abschließend gesichert. Doch aufgrund der Flucht der Königin 1631 wurde der Heinrichszyklus nie realisiert. Das würde erklären, warum sich im Oeuvre Rubens‘ keine Ausführung der insgesamt vier Occasio-Studien sowie der Skizze der Kriegsallegorie findet. Doch erschöpft sich die gestalterische Ähnlichkeit der beiden Darstellungen in dem skizzenhaften Pinselstrich, der sich auch in anderen Studien des Meisters finden lässt. Wie verschiedenartig ist dagegen der Bildaufbau. Doch lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit der am Boden sitzenden Frauen nicht verleugnen: Beide sind mit orangefarbenen weit wallenden Stoffen spärlich bekleidet. Sie entsprechen sich ungefähr in Alter, Körperbau und Haartracht, was jedoch wohl vor allem dem Typus der allegorischen Figuren zuzuschreiben ist. Und beide stützen ihr Haupt in die Hand, jedoch auf völlig verschiedene Weise. Die Protagonistin in der Kriegsallegorie ist vor Verzweiflung und Resignation in sich versunken. Ihr Umfeld nimmt sie nicht mehr war, das zeigt sich in der Handhaltung, die ihren Blick abschirmt. Im Gegensatz dazu beobachtet ihr Pendant in der Occasio-Skizze aufmerksam und doch entspannt ihre Umgebung. Die fast frontale Ausrichtung zum Betrachter und der Blick, der aus dem linken Bildbereich hinausschweift, zeugen von Selbstsicherheit. Hier ist die Vigilantia, also die Personifikation der Wachsamkeit, dargestellt. Ihre Attribute sind die Schlange als Zeichen der Wachsamkeit und die Keule als Zeichen der Stärke des sofort ausführbaren Schlages. Der Adler hinter ihr mit Blitzbündel repräsentiert Jupiter, den Göttervater.[21]
Wilhelm Bode (1896) schließt Rooses‘ Ansatz zwar nicht aus, hält es jedoch für wahrscheinlicher, dass Rubens die Skizze ohne Zusammenhang mit einem Auftrag erstellte. So schreibt er: „Vielleicht hat Rubens hier aber das Stück Geschichte versinnbildlichen wollen, das er in unmittelbarer Nähe mit durchlebte, das ihn auf’s tiefste bewegte und in dem er selbst Jahre seines Lebens mit thätig [sic!] war: den Krieg zwischen Spanien und Holland in all’ dem Jammer, den er über seine Heimat gebracht hatte. Diese einsame Gestalt, die über den Leichen der ihrigen bei sinkender Nacht ihren Kummer ausweint […], wäre dann als das trauernde Niederland aufzufassen. Die Zeit der Entstehung, die nach Behandlung und Färbung etwa zwischen die Jahre 1620 und 1625 zu setzen ist, würde diese Vermutung nur unterstützen: damals war gerade die Kriegsfurie wieder besonders heftig entbrannt, und Rubens beschäftigte sich schon lebhaft mit dem Gedanken, wie den verheerenden Kämpfen ein Ende gemacht werden könnte.“[22]
Eine völlig andere Zuordnung zieht Justus Müller-Hofstede (1969) in Betracht. Er datiert die Kriegsallegorie-Skizze deutlich später und ordnet sie gemeinsam mit der Occasio-Szene, sowie drei weiteren Skizzen[23] thematisch dem Programm des Triumphwagens zur Feier des Sieges von Calloo zu. Alle sechs Arbeiten könnten anlässlich einer entsprechenden Friedensfeier in Auftrag gegeben worden sein. Zudem stellt Müller-Hofstede fest, dass die Reiterriege im Hintergrund nahezu identisch ist mit der in dem Reiterbild des Kardinals Ferdinand aus dem Jahr 1635. Held (1980b) zieht daraus den Schluss, dass Rubens vermutlich für das Reiterbild auf seine Kriegsallegorie-Skizze zurückgriff, in dem Wissen, dass er diese nie in einem Gemälde verwirklichen würde.[24]
Ob man Rooses‘ Vermutung eines direkten Zusammenhangs nun unterstützen mag oder nicht, die Occasio-Szene führt eindrucksvoll vor Augen, auf welche Weise Rubens die Möglichkeit eines Friedensschlusses verbildlichte (Abb. 3). In einer Kartusche in der oberen Bildhälfte befindet sich mittig die Pax, die Personifikation des Friedens. Neben ihr steht vorn übergebeugt die Occasio, also die Gelegenheit, deren Schopf die Pax gegriffen hat. Sie ist, der Bildtradition gemäß, als nackte, vorgebeugte Frauengestalt mit langer Stirnlocke und kahlem Hinterkopf dargestellt. Ihre Haartracht symbolisiert ihre Flüchtigkeit: Wer die Gelegenheit nicht unmittelbar am Schopfe packt, sobald sie ihr begegnet, der kann sie niemals mehr ergreifen. Die Occasio wird von Chronos, dem greisen Gott der Zeit, herbeigeführt. Zu Füßen des Friedens steht ein Putto mit einem Füllhorn als Zeichen des Überflusses und des guten Regiments. Von Minerva, der Göttin der Weisheit, ermuntert, nähert sich von rechts ein Mann in Rüstung, vermutlich Heinrich IV., und streckt seinen Arm in Richtung der Stirnlocke Occasios. Max Rooses sah als erster die Verbindung zur der Skizze des Sieges Heinrichs IV bei Coutras. Somit erklärt sich, welchen Friedensschluss oder besser gesagt, welche Siegeshandlung der Künstler hier darstellt.[25]
An dem allegorischen Apparat, den Rubens im gesamten Medici-Zyklus einsetzt, zeigt sich, wie der Meister auch in einer solchen Auftragsarbeit mit dem Ziel der Rechtfertigung und Verherrlichung politischer Handlungen gleichsam Kritik übt. So erfordert der durch Heinrich IV. ergriffene Friedensschluss das Intervenieren gleich mehrerer mythologischer Figuren. Chronos muss ihm die Occasio bringen, Pax muss sie festhalten und Minerva muss den Heros wortwörtlich mit einem Stoß in die richtige Richtung animieren, damit er schlussendlich die Occasio ergreift. Gleiches findet sich auch mehrfach in den Darstellungen zu Maria de Medici. Rubens verwendet hier eine differenzierte Möglichkeit der Panegyrik, des Herrscherlobs. Indem er nämlich die Werte und Ziele, die der königlichen Regierung übergeordnet sind, auf diese Weise formuliert, weisen sie über die realen Personen und Ereignisse hinaus. Er lobt Heinrich IV. und Maria de Medici für das, was sie eigentlich hätten tun sollen.[26]
In der Skizze Kriegsallegorie ist eine solche szenische Darstellung nicht zu finden. Und doch ist sie umso berührender, da sie einen lebensnahen Bezug aufweist. Sie wirkt darüber hinaus aufgrund der Reduziertheit der Motive erstaunlich modern. Rubens kannte die Wirkung seiner Ausdrucksmittel sehr genau. Ihm war offenbar bewusst, dass das Schreckensbild eine stärkere Wirkung hat als das Idealbild. Indem er also auf drastische Art und Weise die verheerenden Folgen des Krieges darstellte, mahnte er am wirkungsvollsten zum Frieden. In diesem Sinne ist die Skizze daher nicht allein als Zeichen der Resignation zu verstehen, sondern auch als Ausdruck der tiefsten Sehnsucht nach Frieden.
Literaturverzeichnis
Battistini/Impelluso 2012
Matilde Battistini, Lucia Impelluso, Das große Bildlexikon der Symbole und Allegorien, Berlin 2012.
Baumstark 1974
Reinhold Baumstark, Die Allegorien zu Krieg und Frieden des P. P. Rubens und seiner Werkstatt, Diss., Münster 1974.
Bode 1896
Wilhelm von Bode, Die fürstlich Liechtenstein'sche Galerie in Wien, Wien 1896.
Held 1980a
Julius Samuel Held, The oil sketches of Peter Paul Rubens. A critical catalogue, Bd. 1, Princeton 1980.
Held 1980b
Julius Samuel Held, The oil sketches of Peter Paul Rubens. A critical catalogue, Bd. 2, Princeton 1980.
Kaulbach 1998
Hans-Martin Kaulbach, Peter Paul Rubens: Diplomat und Maler des Friedens, in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (Hgg.) 1648 - Krieg und Frieden in Europa, Bd. 2, Münster 1998, S. 565-574.
Kräftner u.a. (Hg.) 2004
Johann Kräftner u.a. (Hg.), Peter Paul Rubens - 1577 - 1640 - die Meisterwerke. Die Gemälde in den Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein, des Kunsthistorischen Museums und der Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste in Wien, Wien 2004.
Müller-Hofstede 1969
Justus Müller-Hofstede, Justus: Neue Ölskizzen von Rubens, in: Ernst Holzinger (Hg.), Städel-Jahrbuch/NF., Bd. 2, München 1969, S. 227-230.
Rooses 1890
Max Rooses, Rubens, Peter Paul, Soest (NL) 1890.
von Simson 1996
Otto von Simson, Peter Paul Rubens. 1577 - 1640 - Humanist, Maler und Diplomat, Mainz 1996.
[1] Zit. n. Kaulbach 1998, S. 569.
[2] Vgl. Baumstark 1974, S. 125.
[3] Vgl. von Simson 1996, S. 12.
[4] Vgl. ebd., S. 229.
[5] Ebd.
[6] Rubens, Peter Paul: Friede und Krieg. Minerva beschützt Pax vor Mars, um 1629-30. Öl auf Leinwand, 203.5 x 298 cm, The National Gallery, London, NG46.
[7] Vgl. Kaulbach 1998, S. 565.
[8] Vgl. Held 1980b, S. 364 f.
[9] Zur Bildanalyse vgl. auch Kräftner u.a. (Hg.) 2004, S. 292.
[10] Vgl. Kräftner u.a. (Hg.) 2004, S. 292.
[11] Künstler unbekannt: Skulptur der Roma, sog. Cesi Roma, 117-138 n. Chr. Nach einem griechischen Vorbild aus dem 5. Jh. v. Chr., Marmor, 310 cm, Konservatorenpalast Rom, Inv. MC0775.
[12] Vgl. Battistini/Impelluso 2012, S. 236.
[13] Vgl. ebd., S. 236 - 243.
[14] Mars und Venus, ehem. Schloss Königsberg, verschollen seit 1945. Vgl., Baumstark 1974, S. 177.
[15] Rubens, Peter Paul: Die Schrecken des Krieges, 1638, 206 × 345 cm, Öl auf Eichenholz, Palazzo Pitti, Florenz.
[16] Vgl. Held 1980b, Nr. 266.
[17] Baumstark 1974, S. 188.
[18] Vgl. ebd., S. 189.
[19] Vgl. Held 1980a, S. 364.
[20] 1. Occasio-Ölskizze auf der Rückseite eines Damenporträts auf Windsor Castle, vgl. Held 1980a, Nr. 257; 2. Occasio-Ölskizze, ehemals in der Sammlung Arenberg, vgl. Held 1980a, Nr. 258; 3. Occasio- Ölskizze in der Staatlichen Kunstsammlung in Weimar, vgl. Kräftner u.a. (Hg.), S. 296.
[21] Vgl. Kräftner u.a. (Hg.) 2004, S. 297.
[22] Bode 1896, S. 17.
[23] 1. sog. Schlacht bei Coutras, 2. Zwei Gefangene, 3. Belladonna und Fortuna als Beschützerinnen Antwerpens,vgl. Müller-Hofstede 1969, S. 227-230.
[24] Vgl. Held 1980b, S. 365.
[25] Vgl. Kräftner u. a. (Hg.) 2004, S. 292.
[26] Vgl. Kaulbach 1998, S. 568.